In Ödenburg befindet sich die älteste lutherische Kirchgemeinde Ungarns. Der Überlieferung nach soll bereits 1522 ein Ordensbruder Christoph im Sinne Martin Luthers gepredigt haben. Als eigentliches Gründungsjahr gilt 1565, als mit Simon Gerengel erstmals ein lutherischer Stadtpfarrer berufen wurde. Im 16. und 17. Jahrhundert nutzten die überwiegend deutschen Einwohner Ödenburgs die Stadtpfarrkirche St. Michael. Im Zuge der Gegenreformation mussten die Lutheraner 1674 jedoch alle Kirchen und Schulen den Katholiken überlassen. In die Geschichte der Protestanten ging die Stadt durch den Ödenburger Landtag 1681 ein, bei dem der Bau weniger evangelischer Kirchen aus Holz gestattet wurde.
Die evangelisch-lutherische Gemeinde in Ödenburg hatte im Unterschied zu Gemeinden in anderen Teilen Ungarns überlebt und bereits 1674 an der Stelle, wo heute die evangelische Kirche steht, ein hölzernes Bethaus erbaut. Dieses Gebäude wurde 1722 zu einer steinernen Kirche umgebaut. 1782 genehmigte Joseph II. (1780-1790) einen Neubau. Bis 1784 entstand eine dreischiffige Halle mit doppelten Emporen in den Seitenschiffen. Allerdings durfte die Kirche keinen Turm besitzen. Dieser kam erst 1862/63 an der Westseite nach Plänen des Wiener Architekten Ludwig Förster hinzu.
Der schlichte, weiße Innenraum wird von einem prächtigen, reich geschmückten barocken Altar beherrscht, der allerdings bereits 1730 geschaffen wurde und aus einem Kamaldulenser-Kloster bei Wien stammt. Das Altargemälde aus dem Jahr 1805 zeigt Christus im Garten Gethsemane.
Ödenburg war eine der am stärksten lutherisch geprägten Städte Ungarns. Die Stadtbewohner waren mehrheitlich Deutsche, von denen die meisten der evangelischen Gemeinde angehörten. 1921 stimmten die Einwohner für einen Verbleib bei Ungarn, während das Umland, das sogenannte Deutsch-Westungarn, Österreich angeschlossen wurde. 1946 wurden ca. 7.000 Ödenburger Deutsche in die amerikanische Besatzungszone Deutschlands ausgewiesen, was für die Stadt mit zuvor ca. 32.000 Einwohnern einen gewaltigen Aderlass bedeutete. Dadurch verkleinerte sich die evangelische Gemeinde erheblich. An das tragische Schicksal der Vertriebenen erinnert ein Denkmal neben dem Kirchturm.
Heute bestehen eine deutsche und eine ungarische evangelische Gemeinde. An den Sonntagen finden nacheinander der deutsche (9 Uhr) und der ungarische Gottesdienst (8 Uhr und 10 Uhr) statt. Der deutsche Pfarrer stammt aus der bayerischen Landeskirche, zu der gute Beziehungen bestehen. Partnerschaften gibt es auch mit Bad Wimpfen, wohin sich viele Ödenburger Vertriebene gewandt haben, sowie mit Seinäjoki in Finnland.
Seit 1557 bestand in Ödenburg ein Evangelisches Gymnasium. Nach dessen Besuch nahmen später viele Schüler ein Studium an evangelischen Universitäten in Mitteleuropa auf und zogen u.a. nach Wittenberg, Leipzig oder Jena. 1884 wurde im rechten Winkel zur Kirche eine Volksschule errichtet, an deren Einweihung König Franz Joseph I. (1867-1916) teilnahm. Während der kommunistischen Herrschaft befand sich in dem Gebäude das Gericht. Schließlich konnte die evangelische Gemeinde das Gebäude zurückerwerben. Seit 2014 befinden sich im Obergeschoss Gemeinderäume, während im Hochparterre ein kleines Museum eingerichtet wurde, das die Geschichte des evangelischen Ödenburg zeigt. Anhand von Bildnissen und Objekten aus verschiedenen Jahrhunderten werden die kulturellen Leistungen der Ödenburger Lutheraner modern und attraktiv veranschaulicht.