Pfarrerin Katalin Magassy im Gespräch
Katalin Magassy ist Pfarrerin und Diakonisse – eine Besonderheit in Ungarn. Beim Gemeindenachmittag Anfang Mai hat sie aus ihrem Leben und von ihrem Glauben erzählt – und bat zu Beginn, das Lied "Jesu, geh voran" zu singen. Ein Lied, das tiefere Bedeutung für Katalin Magassy hat.
Was bedeutet dir das Lied "Jesu, geh voran"?
Das kann ich nicht erklären. Ich kenne dieses Lied sehr lange. Wir sind eine uralte Soproner Familie, aber echt ungarisch. Meine Eltern konnten beide perfekt Deutsch. Und sie wollten uns fünf Kindern auch die deutsche Sprache beibringen – aber es war umsonst. Was wir in der Schule gelernt haben, haben wir schnell vergessen. Doch später habe ich durch das Gemeindeleben die deutschen Gesänge kennengelernt. Ich war etwa 16 Jahre alt, als die Bombardierung hier in Sopron war. Unser Haus ist zerstört worden, und wir mussten fliehen. Wir sind – zu Fuß – bis Linz gegangen. Und wir mussten alles, was wir hatten, zurücklassen. Wie gesagt, ich war 16. Meine jüngste Schwester war zwei Jahre alt, und die Räder ihres Kinderwagens sind schon bei Schattendorf abgefallen – er war für Stadtspaziergänge gedacht, nicht aber für eine Flucht. Für uns war das alles ein großes Trauma. Und während des Weges sang unsere Mutter immerfort. Wir hatten kaum etwas zu essen – unterdessen sang sie "Rád bízom sorsomat, Uram, mindhalálig". Und den ganzen Weg über haben wir solche Lieder gesungen. Wenn Flugzeuge kamen, versteckten wir uns im Straßengraben. Das alles waren so starke Eindrücke, dass wir das nicht ohne Gott überstehen konnten.
In Linz erhielten wir Marken und konnten uns Zugfahrkarten davon kaufen und mit dem Zug nach Regensburg reisen. Wir fanden letztlich Zuflucht in einem Luftschutzkeller. Unsere jüngste Schwester bekam Masern, was damals als schwere Krankheit galt. Letztlich kamen wir in die Nähe von Weiden in der Oberpfalz, wo wir auf einen Pfarrer trafen. Mein Vater erzählte ihm, was mit uns geschehen war. Von ihm vermittelt erhielten wir ein Zimmer, Stroh auf dem Boden und wir alle sieben konnten dort wohnen. Dann erhielten wir Lebensmittelkarten und konnten erstmals wieder "normal" essen. Und wir kamen enger zueinander – das stärkte die innerfamiliäre Verbundenheit sehr. Und in dieser Zeit konnte ich die deutsche Sprache so lernen, dass ich auch später die deutschen Gottesdienste besuchte und mich ganz zur deutschen Gemeinde klammerte.
Kann man sagen, diese Zeit stärkte den Glauben?
Wie der Glaube kam, das kann man nicht erzählen. Ich kam nicht nur durch meine Eltern, sondern auch durch meine Großeltern aus einer Pfarrfamilie. Aber das macht es nicht leichter in Worte zu fassen, wie der persönliche Glauben aufkam.
Wir haben während der Flucht fast alles verloren. Doch zwei Bibeln haben wir die Flucht über bei uns gehabt. Das blieb nicht ohne Bedeutung. Ich las seither jeden Morgen und jeden Abend in der Bibel.
Wir konnten nach sieben Monaten wieder nach Hause kommen. Die Amerikaner organisierten die Rückreise aller Flüchtlinge, die nach Hause wollte. Und bei Agendorf kamen wir wieder auf ungarischen Boden – ein erschütterndes Erlebnis für mich und die ganze Familie. Die ganze Geschichte war so ein tiefer Eindruck, dass ich spürte, ich muss den Dienst Gottes aufnehmen. Mein Leben ist von Gott so gedacht. Das war gar nicht schwer – auch wenn es viele innere Kämpfe gab.
Dein Weg führte dich danach nach Győr und Budapest.
Ich habe Abitur gemacht und danach ging ich nach Győr. Dort waren Diakonissen – doch dort wollte mich die Leitung nicht aufnehmen. Deshalb ging ich für ein Jahr nach Börcs und unterrichtete dort die 1. und 2. Klasse. Dort musste ich zum ersten Mal – mit 20 Jahren – einen Gottesdienst halten, was ich als großen Anspruch und große Verantwortung erlebte.
Über die Oberin konnte ich mich dann den Phoebe-Diakonissen anschließen und kam so nach Budapest. 1951 wurden die Mutterhäuser aufgelöst. Wegen meiner Familiengeschichte – ein Bischof als Großvater! – konnte ich keine normale Anstellung als Lehrerin erhalten.
Ich erfuhr dann, dass in Sopron in einer Heilpädagogenschule Erzieherinnen für schwerbehinderte Kinder gesucht werden. Zuvor war ich Haushälterin und bekam eine Wohnung bei der Oberin. Doch das machte ich auch gerne. Ich habe alles in meinem Leben mit Freude gemacht.
Gestatte mir einen gewissen Sprung, denn ich möchte unbedingt deine Gemeindestelle Sárbogárd erwähnen. Wenn dieser Ortsname fällt, sehe ich immer große Freude in deinem Gesicht.
Die schönste, unvergesslichste Zeit. Die glücklichsten sieben Jahre in meinem Leben. Ich hatte die Examenspapiere nach dem Theologiestudium noch nicht in der Hand, als mich der Bischof fragte, ob ich in die Gemeinde nach Sárbogárd gehen würde. Ich sagte "Ja, natürlich!" Und das, obwohl ich gar nicht wusste, wo Sárbogárd liegt.
Die Gemeinde war damals wie eine Herde ohne Hirten. Ich musste die Leute einzeln suchen und finden. Es gab keine gewählte Gemeindeleitung – keinen Kurator, keinen Kirchenpfleger, keinen Schatzmeister. Drei bis vier alte Frauen kamen in den Gottesdienst. Ich fragte mich also durch: "Wer sind Sie? Wo wohnen Sie? Kennen Sie jemanden, der zu unserer Gemeinde gehört? Und wo wohnen sie?" Dann notierte ich mir die Adressen und fuhr mich mit dem Fahrrad dorthin und sammelte so die Gemeinde zusammen. Das war der schönste, wunderbarste Teil meines Dienstes.
Und es gab manche in der Gemeinde, die sagten: "Sie hat ein paar Jahre Theologie studiert, ist aber keine Pfarrerin. Was macht sie hier?" Das habe ich aber an meinen Ohren vorbei gehen lassen. Viel wichtiger ist: Ich hatte viele Freunde dort gefunden.
Bald sagte ich auch: Es geht nicht, dass wir uns zwischen Sonntag und Sonntag nicht sehen. Wir müssen auch unter der Woche zusammenkommen und miteinander sprechen. Ich möchte so vieles fragen und so viele kennenlernen. Und so kamen immer mehr Menschen zusammen.
Dann ging es auf Weihnachten zu, und ich sagte: Weihnachten ohne Kinder – das kann man sich nicht vorstellen. Und ich suchte die Kinder in der Gemeinde. Dann sagten die alten Frauen: "Ich habe zwei Enkelkinder." Dann suchte ich sie auf – und suchte nach weiteren Kindern. So waren Kinder im Weihnachtsgottesdienst und haben dort gesungen und Gedichte gesprochen.
Und noch etwas: Ich durfte kein Abendmahl einsetzen, ich war ja noch keine Pfarrerin. Das war für mich ein großer Schlag. Denn das Abendmahl ist die Quelle meiner Lebenskraft – und das konnte ich mir nicht vorstellen. Ich hatte jedoch hierzu keine Erlaubnis. Bischof Káldy wollte die "Fernstudenten" nicht als Pfarrer haben. Ich sagte mir, ganz still bleiben. Es gab dann Wechsel im Bischofsamt. Und letztlich wurde ich im August 1991 ordiniert. Das war die Krone meines Lebens – dass ich ordinierte Pfarrerin wurde! Wer bin ich, dass Gott mich so hoch erhebt! Das ist immer in mir. Mein ganzes seitheriges Leben – auch jetzt, da die Schwierigkeiten kommen. Es ist ein ziemlich großer Kampf, dass ich nicht mehr lesen kann. Und ich mag gerne singen, doch ich kann nicht, denn ich sehe die Buchstaben nicht mehr. Doch auch das kann ich aus Gottes Hand annehmen.
Du bist in der Gemeinde sehr aktiv – fünf Dienste pro Monat. In jeder Wochenpredigt übernimmst du den Psalm. In allen Abendmahlsgottesdiensten wirkst du an der Austeilung mit. Und gelegentlich übernimmst du auch den Dienst einer gesamten Wochenpredigt. Was bedeutet dir das?
Jetzt ist das für mich das Leben. Weil ich sonst vielleicht denken würde, dass ich schon überflüssig wäre. Es muss etwas geben, was dem Tag Sinn gibt. Für mich ist das die sinnvolle Tagesbeschäftigung, auch weil ich nicht mehr lesen kann, nicht mehr Handarbeit betreiben kann, nicht mehr spazieren gehen kann. Ich dachte schon öfters im Leben, dass mein Dienst endet, habe mich gelegentlich innerlich davon verabschiedet, dass ich noch gebraucht werde. Und immer wieder kommt es als angenehme Überraschung, dass ich gebraucht werde, noch Dienst tun kann. Dafür bin ich sehr, sehr dankbar. Das ist das Werk Gottes!
Holger Manke