Völkerverbindende Brücke und grenzenüberwindende Wahrheit Zur Partnerschaft der evangelisch-lutherischen Kirchen in Bayern und Ungarn

Im Jahr 1992 wurde erstmals ein Freundschaftsvertrag zwischen den evangelisch-lutherischen Kirchen in Bayern und in Ungarn unterzeichnet. Seither traten zahlreiche bayerische und ungarische Gemeinden sowie andere evangelische Institutionen wie Schulen, Kindergärten und diakonische Einrichtungen sowie die theologischen Fakultäten in gegenseitigen Kontakt. Und immer wieder wird die Partnerschaft bei großen Festen gefeiert – so zuletzt im vergangenen Oktober in Nürnberg anlässlich des 20-jährigen Bestehens. Gerade das Pfingstfest bietet Gelegenheit, den Blick zu heben und über die Grenzen der eigenen Kirchenstrukturen hinauszublicken – auf das, was uns über Grenzen hinweg in Christus verbindet und Kirche zu einer lebendigen Gemeinschaft von Christen werden lässt. So stehe der Blick auf die bayerisch-ungarische Partnerschaft im Zeichen des Pfingstfestes.



Bei der Unterzeichnung der Vereinbarung zwischen beiden Kirchen konnte man auf bereits bestehende Kontakte zurückgreifen. Die älteste bayerisch-ungarische Gemeindepartnerschaft verbindet die Budapester Burggemeinde am Wiener Tor mit der Nürnberger Sebalduskirche.

Der damalige Leiter des Nürnberger Studienzentrums Heilig-Geist, Dr. Ludwig Markert, – später war er Präsident des Diakonischen Werkes Bayern – veranstaltete jährlich "Ökumenische Begegnungstage" mit Gästen aus jeweils einem anderen Land. 1983 kamen Ungarn, da sie ein Jahr später Gastgeber der Weltkonferenz des Lutherischen Weltbundes sein sollten. Es bestanden zu diesem Zeitpunkt keinerlei Kontakte dorthin, erinnert sich Markert, gerade deshalb war ihm daran gelegen, Verbindungen aufzubauen. Die Mitglieder der ungarischen Delegation waren auf verschiedene Nürnberger Gemeinden aufgeteilt. So war beispielsweise der Leiter der Gesandtschaft, Bischof D. Dr. Gyula Nagy, Gast der Kirchengemeinde St. Sebald. Er lernte in den zu den schönsten seines Lebens zählenden Tagen nicht nur das Gemeindeleben St. Sebalds kennen, sondern gab Pressekonferenzen und nahm an ökumenischen Gesprächen teil.

Freundschaft auch ohne Vertrag

Bereits ein Jahr später war eine Nürnberger Gruppe bei der erwähnten Weltkonferenz in Ungarn zu Gast. Durch die anhaltende Freundschaft zu Nagy konnte schließlich der Kontakt zwischen St. Sebald und der Gemeinde des Bischofs – und damit der Budapester Burggemeinde – vereinbart werden.

Der heute 94-jährige "Gründervater" erinnerte sich später, dass es damals nicht möglich war, diese Verbindung offiziell als "Gemeindepartnerschaft" auszuweisen. Schließlich konnte aus politischen Gründen nicht ohne Weiteres eine Beziehung zwischen einer ungarischen und einer bayerischen Kirchengemeinde aufgebaut werden. Man hatte also nichts unterschrieben, aber die Verbindung war bereits sehr eng: Gegenseitige Besuche fanden regelmäßig statt – zunächst in kleineren "Erkundungstrupps", dann in voller Pracht: Der Nürnberger Pfarrer Eberhard Bibelriether predigte 1987 in Budapest. Ein Jahr später stand Pfarrer Miklós Madocsai auf der Sebalder Kanzel, ehe György Peskó ein Orgelkonzert in Nürnberg gab. Die Gemeindemitglieder, Pfarrer und Kirchenmusiker hatten sich also schnell miteinander angefreundet und mehrere Begegnungen initiiert.

Ab dem Jahr 1990 gesellte sich eine weitere Partnerschaftsebene dazu: Jugendliche und junge Erwachsene beider Gemeinden besuchen sich regelmäßig – bis heute.

Polizisten stiften Partnerschaft

Dieser enge Kontakt sorgte übrigens für weitere Verbindungen. So konnte dem Evangelischen Gymnasium am Deák-Platz in Budapest das Laurentius-Gymnasium in Neuendettelsau als Partnerschule vermittelt werden.

Zahlreiche dieser Bemühungen liefen ohne Zutun der vorhandenen bayerisch-ungarischen Strukturen ab oder entstanden aus purem Zufall, wie folgende kleine Geschichte illustriert:

Im Jahr 1993 brach eine Konfirmandengruppe aus Dunaújváros mit zwei Bussen zu einem Ausflug nach München auf. Der Fahrer des einen Busses hielt gerade am ersten Rastplatz auf bayerischem Boden, da Wasser aus dem Wagen auslief, als ein Streifenwagen neben ihnen hielt. Den aufmerksamen Wachtmeistern entging unterdessen nicht, dass die TÜV-Plakette des anderen Busses abgelaufen war. An der nächsten Tankstelle angekommen nahmen die Polizisten die Nummernschilder ab. Die aufgeschmissenen Gäste aus Ungarn fragten nach der örtlichen evangelischen Gemeinde – und Pfarrer Johannes Sinn aus Aschau eilte sofort herbei und organisierte Quartiere für die gestrandeten Magyaren. Aus dieser misslichen Lage entstand eine nie erhoffte und bis zum heutigen Tage andauernde Verbindung, die bis heute in zahlreichen – übrigens zuvor vereinbarten – Wiedersehen fortdauert.

Die Sinn-Frage solcher Partnerschaften

Was hat man davon, eine Verbindung zwischen zwei Gemeinden in Bayern und Ungarn einzugehen? Viele Dinge, die einen selbst vom Partner unterscheiden, wird man schätzen lernen, indem man sie hinterfragt und vielleicht hier und da das eigene Handeln überdenkt. Man lernt also nicht nur den Partner, sondern auch sich selbst besser kennen. Durch den tiefen Einblick in das Leben der Partner kann man Erfahrungen und Kenntnisse austauschen und sich damit vor dem Verfall in provinzialistisches Denken schützen. Wer also das Glück hat, Freunde in der Ferne zu finden, kann seinen Horizont erweitern. Gerade für Jugendliche rücken Freundschaften dieser Art jegliches fremdenfeindliche Gedankengut weit in den Hintergrund. So stellt der Pfarrer der Nürnberger Sebalduskirche, Gerhard Schorr, fest: "Da lernen sich junge Menschen über die Grenzen von Ländern, Sprachen, Traditionen und Mentalitäten hinweg ganz unkompliziert kennen. Sie merken, irgendwie können wir uns verständigen. Manche lernen deswegen sogar die Sprache des anderen. Sie erleben einander im Alltag der anderen Stadt, der Gemeinde und der Familie. Da muss man nicht mehr über notwendige Schritte theoretisieren, die die Menschen in Europa zusammenbringen – hier werden sie gleich gegangen. Und junge Menschen haben sowieso ihre eigene Sprache, in der sie sich intuitiv verstehen – besser als muttersprachlich mit ihren deutschen oder ungarischen Eltern zum Beispiel."

Bischof i.R. D. Imre Szebik vermerkt in seinem Grußwort für die vom Autor dieses Artikels verfasste Chronik der Gemeindepartnerschaft zwischen St. Sebald und der Budapester Burggemeinde: "Die beinahe 25-jährige Vergangenheit unserer Verbindungen, die Gegenwart unserer Verbundenheit, das Geflecht von Freundschaften, die Atmosphäre gemeinsam erlebter Gottesdienste und die miteinander geführten und von Vertrauen getragenen Gespräche zeigen, dass der christliche Glauben, die gemeinsame Zugehörigkeit zu Christus eine völkerverbindende Brücke und grenzenüberwindende Wahrheit ist."

Diakoniepräsident Dr. Ludwig Markert resümiert: "Wer immer in Ungarn ist, wird von der Herzlichkeit, von der Gastfreundschaft begeistert sein. Das sind bleibende Eindrücke, die ich nie vergessen werde."

Diese "bleibenden Eindrücke" zeugen davon, dass die seit mehr als 20 Jahren auch vertraglich festgehaltene Partnerschaft zwischen den evangelisch-lutherischen Kirchen von Bayern und Ungarn nicht nur eine protokollarische Vereinbarung ist, sondern durch zahlreiche Freundschaften und für die gemeinsame Sache engagierten Menschen lebt.

Holger Manke