Es sind nicht nur Touristen...

… die aus aller Herren Ländern unsere Kirche besuchen. – Werfen Sie nur einen Blick in unser Gästebuch im Vorraum der Kirche! – Es sind Besucher, die ihre Wurzeln oder die Namen ihrer Vorfahren suchen, die sich erinnern wollen, oder die "einfach" nachdenken und beten wollen. Oder in der Sommerhitze die Kühle genießen.

Mir sind besonders vier Besuche in Erinnerung geblieben.

Ein junges Paar betrat den Kirchenraum und wählte gezielt eine ungewöhnliche Richtung, nicht den Weg, der direkt zum Altar führt. Das machte mich stutzig, denn in den letzten Jahren habe ich als Kirchenführerin so etwas noch nicht erlebt. Sie gingen links und blieben suchend ungefähr bei der 7., 8., 9. Reihe stehen, traten in die Bänke, und fast berührten ihre Nasen das Pult. Es war eindeutig, dass sie etwas Bestimmtes suchten. Ich folgte ihnen und fragte, ob ich bei der Suche behilflich sein könnte. Der junge Mann erzählte daraufhin, sein Großvater habe ihn beauftragt, das Namensschild seines Vaters zu finden. Der junge Mann war schon dabei, die Suche aufzugeben, denn die angegebenen Reihen wollten überhaupt nicht stimmen. Ich meinte, sie hätten doch Zeit, sie sollten ruhig weitersuchen, Namensschilder wurden ja nie ausgetauscht, auch nie entfernt, vielleicht wäre es doch eine andere Reihe. Und so war es auch. Plötzlich lächelte das junge Paar, zuckte das Handy, Blitzlicht erhellte die Bank, der Auftrag war erfüllt.

Eine alte Dame am Arm eines älteren Herrn betrat die Kirche mit schlurfenden Schritten. Sie schwiegen, doch fühlte man, dass sie ganz eng zusammengehörten. Sie gingen gezielt bis zum Taufbecken, blieben dort eine Weile still stehen. Ihr Zusammensein schloss die Außenwelt aus. Nach ein paar Minuten drehten sie sich um und waren dabei, die Kirche zu verlassen, noch immer ohne Worte. Da siegte doch meine Neugier, was sie wohl in unsere Kirche führte. Am Ausgang kam dann die Erklärung, jetzt lächelten sie schon. Es waren Mutter und Sohn. Sie war in dieser Kirche getauft und konfirmiert worden und auch ihre Hochzeit hatte hier stattgefunden. Sie wollte sich erinnern.

Bild entfernt.

Dann eine Familie, ein Ehepaar mit Teen-agern: Tochter und Sohn. Ich erzählte ihnen ziemlich ausführlich, sie hörten geduldig und interessiert zu. Und dann wollten sie wissen, wo man das beste Eis in Sopron bekommt. Ich bin kein Eis-Fan, aber ich wusste, dass in den Lővérek nach Meinung vieler sehr gutes Eis zu bekommen ist. Dorthin zu kommen, wenn man in der Stadt fremd ist, ist nicht gerade einfach. War bisher nicht einfach: Der Sohn hatte ein GPS mit und sie fanden die Eisdiele sofort. Und da kamen wir ins Gespräch. Scheinbar löst nicht nur Wein, sondern auch die Aussicht auf Eis die Zunge. Der Vater offenbarte, dass er der Sohn von Vertriebenen aus Sopron sei, und er wusste sogar die Adresse der Eltern und Großeltern und meinte, ohne sich vergewissert zu haben, das Elternhaus gebe es nicht mehr. Ich meinte, wenn sie schon ein GPS dabei haben, könnten sie sich selbst darüber überzeugen. Wir verabschiedeten uns. Eine Woche später war diese Familie unüblicherweise ein zweites Mal in der Kirche, um die zweite Tochter und deren Freund erweitert. Der Vater wollte dem jungen Paar die Kirche zeigen. Und dann blieben sie im Vorraum vor der Tafel der Gefallenen im Ersten Weltkrieg stehen. Sie fanden dort den Namen dreier Vorfahren. Es gab nur einen kleinen Unterschied zwischen dem Namen auf ihrem Zettel und denen auf der Tafel: statt b stand p. Sie beschlossen Kontakt zu unserem Archiv aufzunehmen und mit der Recherche dieses Zweiges der Familie zu beginnen. So verabschiedeten wir uns mit einem "Auf Wiedersehen im nächsten Jahr". Übrigens schmeckte ihnen das Eis hervorragend.

Da war der Herr mittleren Alters, sportlich gekleidet, er betrat die Kirche mit forschen Schritten, schaute sich um und setzte sich in eine Bank. Gewöhnlich drehen sich solche Menschen bald um und verlassen die Kirche binnen Sekunden ohne eine Information bekommen zu wollen. Sein Verhalten ermunterte mich doch dazu, ihn anzureden. Er sprach Hochdeutsch mit einem Hauch vom Süddeutschen. Er stellte nicht die üblichen Fragen zum Kirchenraum, viel mehr wollte er statistische Angaben über Kirchenbesuch, Informationen über die Stadt und generell über die Gesellschaft in Ungarn bekommen. Meine Antworten stellten ihn mehr oder weniger zufrieden. Da kam meinerseits die Frage, warum er sich für so etwas interessierte. Er hatte als Kind in Sopron gelebt und hatte wohl sehr früh die Stadt verlassen. Ob er Ungarisch konnte, weiß ich nicht, ich habe ihn danach nicht gefragt. Denn ich spürte, er hing zwar an Erinnerungen, doch erlaubte er sich nicht, sich in diesen zu vertiefen – aus welchem Grund auch immer. Er verabschiedete sich nicht.

Ich würde mich freuen, wenn auch andere, junge Leute, Schüler und Studenten so bewegende, schöne, manchmal auch merkwürdige Erlebnisse bei ihrer eigenen Kirchenführung machen könnten. Meldet Euch also im Juni 2015!



Erzsébet Ghiczy