Aufbruch zur "inneren Reformation"

Seit einigen Jahren sind wir unterwegs zum Reformationsjubiläum. Eine ganze Dekade haben wir Zeit uns darauf vorzubereiten – und wir tun das unter anderem, wenn wir wie im vergangenen Jahr in Sárvár, heuer bei uns in Sopron/Ödenburg und im nächsten Jahr in der Budapester Burggemeinde treffen, um uns auf die Spuren der Reformation zu begeben. Einige Gedanken und Zeichnungen seien uns eine Station auf diesem Weg – und das Zeichnen als künstlerische Tätigkeit gestattet ja auch gewisse Überzeichnungen.

Ein solches Übertreiben beginnt auch schon da, da solche einfachen Zeichnungen dem Bereich der Kunst zugeschrieben werden. Doch Überzeichnungen berühren Menschen nicht nur emotional, sondern verfügen auch auf ihre Art über die Chance, deutlich auf Wahrheiten hinzuweisen. Vielleicht ist also die Überzeichnung eine Vermittlungsform, die gerade für dieses Thema besonders geeignet ist. So lassen Sie die Gedanken und die Zeichnungen im Miteinander auf sich wirken.

Wenn die Reformation im Mittelpunkt des Nachsinnens steht, ist es eigentlich kein Wunder, wenn sich in uns der Gedanke regt, dass Reformation eine irgendwie gute, nützliche, notwendige und vielleicht auch modische Angelegenheit ist. Also, worauf warten wir? Krempeln wir die Ärmel hoch!

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Wohlan, reformieren wir auch!

… irgendwas.


Und irgendwie kommen wir recht bald an den Punkt, an dem wir einsehen, dass Reformieren kein Selbstziel sein kann und darf. Wir reformieren also nicht um des Reformierens willen. So begegnet uns die Frage:

Wie reformieren wir?

Und was eigentlich?

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Solche Begriffe wie "reformieren" und "erneuern" wecken in uns den Kritiker.

Es kommt ja vor, dass wir gerne und leicht Dinge kritisieren – außerhalb der Kirche und mit Vorliebe auch innerhalb der Kirche.

Denn alles könnte doch perfekt sein, wenn man uns nur öfter fragen würde, wie man was am besten macht. Aber weil das so selten passiert, sehen wir vieles, was wir nicht gut finden.

Ich stelle jetzt zwei beliebte Arten vor, wie die Kirche häufig kritisiert wird – es sind Arten der Kritik, die auch selbst oft der Erneuerung und des Reformierens bedürfen.

Die eine Form des Kritisierens ähnelt hinsichtlich der Haltung dem, wie wir im Fernsehen Fußballübertragungen ansehen – bei Bier und Salzstangen.

Als die deutsche Fußballnationalmannschaft bei der Weltmeisterschaft im Sommer Brasilien mit 7:1 besiegte, gab es einen Moment, da selbst den schärfsten Kritikern der Atem wegblieb. Aber ansonsten gibt es kaum Fußballspiele, die nicht von Millionen kleiner "Fußballtrainer" verfolgt werden, die via Bildschirm besser wissen, wie zu spielen sei.

Dann sind wir gewiss klüger, als der Trainer und fragen ihn durch den Bildschirm: "Du lieber Joachim Löw, warum lässt du den alten Klose spielen? Thomas Müller wäre doch tausendmal besser!" Wenn dann Thomas Müller spielt, dann rufen wir jedoch nach dem erfahrenen Miroslav Klose.

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Wie man's macht, ist es falsch.

Sie ahnen vielleicht, worauf dieser Gedanke hinausläuft. Manchmal kritisieren wir genau so die Kirche. Obwohl wir selbst Teil der kritisch beäugten Kirche sind, blicken wir so auf sie, als wären wir völlig Außenstehende. "Dies ist nicht gut! Warum wird das so gemacht? Warum kann jenes nicht ordentlich funktionieren?"

Und inzwischen sitzen wir freilich – bildlich gesprochen – im Sessel, bei Bier und Salzstangen. Und es kommt uns nicht in den Sinn, dass es hier nicht um Fußball geht, sondern dass wir selbst im Trikot auf dem Feld stehen müssten – dass wir Verantwortung tragen müssten, dass wir in dieses Spiel auch unsere Kreativität einbringen müssten. Dann freilich nicht allein als Kritiker, sondern als "Teamplayer" in der Mannschaft als diejenigen, die etwas machen.

Doch der Sessel ist bequemer – und das Nichtstun schützt uns ein Stück weit davor, selbst kritisiert zu werden.

Übrigens:

Ich gestehe, dass ich auch schon auf so einem Sessel Platz genommen habe und verwundert verfolgt habe, was es in der Kirche so an merkwürdigen Dingen alles gibt.

Ein Beispiel?

Gerne.

Ich zum Beispiel verstehe nicht, warum bei uns ausgerechnet das Kreuz (!) als Symbol für Hierarchie verwendet wird.

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Unser Glaube ist, dass Jesus Christus für uns alle gestorben ist. Für die einfachen Menschen ebenso wie für Bischöfe. Damit hat das Kreuz doch eine Symbolik, die für alle Menschen gleich viel bedeuten sollte. Und damit ist das Kreuz eigentlich ungeeignet innerkirchliche Hierarchien zu kennzeichnen.

In Bayern kommt noch der Brauch hinzu, dass je höher ein kirchlicher Würdenträger in der Hierarchie steht, desto größer auch das Kreuz ist, das er etwa zum Talar trägt.

Wozu verwenden wir das Kreuz?

Und wenn schon der Wunsch besteht, einen einfachen Pfarrer von einem Bischof unterscheidbar zu machen – auch dann, wenn sie beide im Talar sind –, warum verwenden wir hierfür ausgerechnet das Kreuz?

Was bedeutet uns das Kreuz?

Darüber könnte man philosophieren. Und das ist ja auch schon geschehen. Denken wir darüber ruhig einmal nach, es ist sicher keine Gotteslästerung.

Doch ich weiß auch gut, dass Fragen dieser Art in gewisser Weise ein Nebengleis sind. Es kann nicht das Ziel der Reformationsdekade und des Reformationsjubiläums sein, dass wir uns ausschließlich mit Fragen dieses Kalibers beschäftigen. Und mal ganz ernsthaft nachgefragt: Wen stört im gottesdienstlichen Vollzug ernsthaft, dass der Bischof ein Kreuz trägt?

Vielleicht ist das keine allzu große Frage.

Also, auf zum nächsten Schritt – zur zweiten Art, wie Kirche gerne kritisiert wird.

Und jetzt denken wir mal wirklich in eine ganz egoistische Richtung – denn auch auf so etwas trifft man häufig.

Betrachten wir das Bild:

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Hier liegt das Gemeindeglied, hier liegen wir auf dem Massagetisch und warten auf die Dienstleistung der Kirche.

Denn – keine Frage – dass die Kirche uns massiert und allerlei Dienstleistungen angedeihen lässt, das steht uns zu! Egal, ob wir Kirchenmitglieder sind und irgendwie Spenden, Beiträge oder Steuern zahlen oder nicht – es steht uns zu.

Und es ist sogar noch schlimmer:

Die Kirche macht, was wir wollen, massiert unsere Füße. Aber wir sind unzufrieden, weil die Kirche das nicht so macht – nicht so gut, nicht so intensiv, nicht so schön –, wie wir das wollen.

Was machen wir also?

Natürlich, wir kritisieren die Kirche: Besser massieren müsste sie mich! Ein besserer Dienstleister müsste sie sein.

Freilich, man sieht mich selten in der Kirche und im Arbeitskreis Massage bringe ich mich auch nicht ein. Wozu auch? Ich will ja massiert werden und nicht andere massieren – wer bin ich denn?

Auf gut Deutsch: Es gibt manche, die die Frage bewegt: Wie könnte die Kirche meine Ansprüche und die meiner Familie noch besser befriedigen? Diesen Teil der Gemeindearbeit sehe ich irgendwie, alles andere interessiert mich nicht. Aber es genügt auch, dass ich von der Gemeinde nur so viel sehe, wie mich direkt betrifft – jedenfalls genügt es dafür, dass ich mich mit meiner Kritik und meinen Erneuerungsideen hervortun kann.

Na, jetzt halte ich doch mal inne.

Vielleicht regt sich schon der eine oder andere auf, dass das jetzt doch auch nicht so ganz die Wirklichkeit widerspiegelt. Eine Schwarzmalerei ist das. Und es gibt doch viele aktive, engagierte Gemeindeglieder!

Das weiß ich gut. Doch ich versprach eingangs Überzeichnungen. Und wer weiß, vielleicht ist in ihnen doch ein Fünkchen Wahrheit.

Wenn aber die beiden vorgestellten Reformierungsarten nicht fruchten, kehren wir zurück zur Frage, wie wir reformieren sollten – und was eigentlich?

Was würde denn unser großer Reformator zu diesen Reformierungspraktiken sagen?

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Gott sei Dank ist noch ein bisschen Zeit bis 2017. Wir müssen uns noch nicht aktionistisch in die Detailplanung der für dieses Jahr geplanten Programme stürzen.

Wir können es uns leisten, stehen zu bleiben und innezuhalten. Zum Beispiel jetzt.

Ich denke, ehe wir nach außen blicken, was es in der Kirche, in den Gemeinden anlässlich des Jubiläums zu verbessern gibt, sollten wir erst einmal nach innen schauen. Beginnen wir diese Arbeit in uns selbst!

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Welche "95 Thesen" würden wir selbst formulieren, um sie nicht an die Kirchentür zu heften, sondern uns selbst, unseren Herzen, anzubefehlen?

Blicken wir in uns selbst, in unser Herz, unsere Seele. Seien wir kritisch mit uns selbst und bereit zur Erneuerung.

Was bedeutet mir Gott?

Was bedeutet mir der Glaube?

Was bedeutet mir die Kirche?

Das könnten theoretische Fragen bei der Selbstprüfung sein.

Und dann: Wie lebe ich mein Leben?

Das könnte die praktische Seite der Selbstprüfung sein.

Und dann darf eine spannende Frage nicht außen vor bleiben:

Haben die Antworten, die wir eben auf die gestellten Fragen gefunden haben, etwas miteinander zu tun?

Es könnte ja auch sein, dass wir sagen: Natürlich ist uns Gott wichtig, und der Glaube bedeutet mir viel – und auch die Kirche schätze ich hoch. Aber in meinem Leben, in meinem Alltag kann man eigentlich keine Spuren dessen entdecken.

Und ein späterer Schritt:

Was kann ich tun in der Kirche, in der Gemeinde?


Wozu bin ich fähig, was kann ich gut, was sind meine Talente? - Und wie kann ich all das in die Gemeinde einbringen – zum Wohl anderer, zu meiner eigenen Freude, zum Bau der Kirche Christi und zur Ehre Gottes?

So kann aus der von mir geforderten "inneren Reformation" - aus der Reformation in den Herzen – auch etwas wachsen, was sich auf das gemeindliche und kirchliche Leben auswirkt. Und es bringt vielleicht nochmal ganz andere Erneuerungen, wenn wir mit erneuertem Herzen und erneuerter Seele auf Gemeinde und Kirche blicken, als wenn wir einfach aus einer Laune des Reformierens heraus erneuern.

Ecclesia semper reformanda – die Kirche ist immer zu erneuern.

Diesen Slogan sollten wir nicht hören, ohne noch etwas anderes mitzuhören:

Die Herzen in der Kirche bedürfen ebenfalls der ständigen Erneuerung.

Über erneuerte Herzen erfährt auch die Kirche auf gute Weise Erneuerung.

Darin helfe uns der allmächtige Gott durch Jesus Christus mit der Kraft des Heiligen Geistes.



Holger Manke (Gedanken),

Eszter Manke-Lackner (Zeichnungen)