Sehe ich das Schwere – oder den, der uns hilft?

Interview mit der deutschen Kuratorin Márta Farsang

Was bedeutet eigentlich Glaube – im eigenen Leben, aber damit aufs Engste verbunden auch in der Verbundenheit einer Kirchengemeinde? Welche Chancen und Grenzen hat die Weitergabe vom Glauben? Was bedeutet die Deutschsprachigkeit in unserer Gemeinde? Márta Farsang, Kuratorin des deutschsprachigen Gemeindeteils, blickt für den Christophoros auf diese vielfältigen Themen des kirchlichen Lebens in Sopron.

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Du bist in der Gemeinde sehr aktiv, bei fast allen deutschsprachigen Gottesdiensten und Gemeindeveranstaltungen nicht nur anwesend, sondern auch mitarbeitend und mitdenkend aktiv. Und man kann sagen, du bist mit Herzblut bei der Sache. Was bekommst du zurück?

Es macht mir Spaß. Ich bin glücklich darüber, dass ich das machen darf. Es ist mir wichtig, dass ich dabei sein darf, dass ich mit älteren und jüngeren Leuten und mit allem, was mit der Gemeinde zu tun hat, in Verbindung stehe.

Es gibt Nachrichten darüber, dass die Kirchenmitgliederzahlen zurückgehen. Was denkst du, was führt dazu, dass für viele der Glaube nicht mehr eine so bedeutende Rolle einnimmt?

Ich denke, dass viele Menschen – auch in meinem Alter – mehr auf das Materielle fixiert sind. Dadurch, dass anderes so wichtig geworden ist, haben sie den Glauben ein Stück weit losgelassen. Ich werde öfter mal gefragt: "Warum läufst du ständig in die Kirche? Warum machst du in der Gemeinde so viel?" Ich brauche das. Ich kann nicht beschreiben, weswegen. Wenn ich zum Beispiel am Sonntag nicht in die Kirche gehen kann, dann bin ich ein bisschen deprimiert. Ich brauche diese Gemeinschaft. Vielleicht kann ich das damit begründen, dass ich mit 51 Jahren einen ziemlich schweren Nervenzusammenbruch erlitten habe. Ich bin ziemlich lange nicht in die Kirche gegangen. Ich war krank. Und da habe ich diesen Ruf gehört – und seither gehe ich in den deutschen Gemeindeteil. Ich bin um 9 Uhr in den Gottesdienst gegangen, setzte mich in die Reihe, in der ich früher mit meiner Großmutter saß. Damals war Kerstin Sprügel die Pfarrerin – und ich fühlte, als hätte sie direkt zu mir gepredigt. Ich habe mich irgendwie angesprochen gefühlt. Ich war schon früher Presbyterin und schon von Kindheit an in der Kirche. Doch gerade ihre Predigt war für mich ein entscheidendes Erlebnis. Sie hat mich nach dem Gottesdienst angesprochen und mich wieder ins Gemeindeleben hineingeführt. Und sie war auch diejenige, die mich gefragt hat, ob ich Kuratorin werden könnte. Ich sagte, dass ich das nicht kann und mich nicht würdig fühle. Und dann habe ich mir Gedanken gemacht, dass es sein kann, dass Gott mir diesen Weg zeigt – auch über die Erkrankung, die einen Halt, ein Stehenbleiben nach viel Hektik bedeutete. Ich konnte wieder Halt finden, habe mich geborgen und getragen gefühlt.

Welche Gedanken haben dir über die erwähnte Predigt hinaus geholfen, dich im Glauben zu vertiefen?

In einem Buch des reformierten Pfarrers Endre Gyökössy über die Liebe las ich: "Amikor mások kiborultak, akkor mi a feleségemmel térdre borultunk." (Als andere die Nerven verloren haben, sind meine Frau und ich auf die Knie gefallen.) So einfach ist es: Man muss nur einmal mehr beten, und dann merkt man, Gott ist nur eine Hand weit entfernt.

Denkst du, Menschen, die Schweres erlebt haben – Krieg, Krankheiten, Trauer – finden leichter zu Gott – und andere, denen alles leicht gelingt, finden weniger leicht eine tiefe Verbindung?

Ich kann sagen, bei mir fehlte früher so eine Tiefe im Glauben. Und wenn man dann etwas Schweres erlebt, kann es sein, dass man sich entweder ganz von Gott abwendet. Oder aber es wächst Vertrauen zu Gott, der einen auch durch schwere Zeiten trägt.

Meine Großeltern hatten ein Bild über ihrem Bett: Der Mensch ist bis zum Hals im Wasser, und am Fels kniet Christus und hilft ihm aus dem Wasser heraus. Dieses Bild hat mich irritiert, weil es mir zeigte, wie schwer unser Schicksal ist, wie schwer wir es haben, wie sehr uns das Wasser bis zum Hals steht.

Als meine Großeltern verstorben waren, wurde das Bild in eine Kammer gestellt. Und viel später stieß ich wieder auf das Bild und sah es mit ganz anderen Augen: Es stimmt, dass der Mensch so tief im Wasser sitzt. Aber Christus bemüht sich und tut alles, um ihn herauszuziehen. Das ist eine Frage der Perspektive: Ist das Glas Wasser halb voll oder halb leer? – Sehe ich das Schwere oder den, der uns hilft? Die Botschaft des Bildes wurde für mich neu klar: Egal was passiert, Christus, Gott hilft mir.

Und um auf deine Frage zurückzukommen: Wenn alles wunderbar läuft, dann, denke ich, glauben die Menschen weniger an Gott. Dann ist es selbstverständlich, dass die Sonne scheint und alles gut läuft. Aber wenn ein Stein zwischen die Räder kommt, fragt man sich, ob es wirklich selbstverständlich ist, dass die Sonne scheint und dass die Dinge oft gut laufen.

Täler gibt es nicht ohne Berge – und umgekehrt. Man muss auch tief hinunter, damit man die Sonne oben auf dem Berg schätzen kann.

Das Bild vom sich herabbeugenden Christus, der alles tut, um den Menschen aus dem Wasser zu ziehen, spricht mich sehr an. Ist das nicht auch Auftrag an uns? Und daran anschließend: Wie geben wir anderen Menschen weiter, dass sie Gottes Handschrift in ihrem Leben – im Guten wie im Schweren – erkennen lernen? Was können wir tun, um anderen etwas weiterzugeben?

Das wichtigste ist, dass wir authentisch bleiben. Und wir können davon erzählen, dass wir auch Tiefen und Höhen kennen. Dadurch sind wir viel näher zu Gott gekommen. Wenn sie gerade im Höhenflug sind, werden sie das nicht unbedingt verstehen. Aber wenn sie selbst Probleme haben, kommt die Hilfestellung viel eher an. Dann sehen sie: Bei ihr hat es geholfen, warum könnte es nicht auch bei mir helfen.

Das alleine ist aber noch keine Garantie. Als ich in jungen Jahren meinen Vater verloren habe, hat sich eine Freundin der Familie, die auch einen tiefen Glauben hatte, mit mir viel über Gott und über Schicksalsschläge gesprochen. Doch es hat mich nicht richtig erreicht. Ich war zu tief verletzt. So wie viele andere, die fragen, warum Gott so etwas zulässt.

Ich habe ein Bild: Ich war wie ein Schaf zwischen den Büschen verirrt, und Gott griff immer nach mir, um mich dort herauszuführen. Ich ging auch manchmal ein paar Schritte in die richtige Richtung, aber richtig raus kam ich nicht. Da musste erst die Krankheit kommen, anhand der ich verstand: Ohne Gott geht es nicht.

Wenn ich keine offenen Ohren habe, dann erreicht es mich nicht. Ich kann zehnmal in die Kirche gehen, und der Gottesdienst und die Predigt können sehr gut sein, aber wenn ich die Ohren nicht öffne, dann geht es an mir vorbei.

Der Heilige Geist wirkt wann und wo er will. Und dieser Gedanke lässt mich auch nach Pfingsten und Babel fragen. Wir sind eine von wenigen Gemeinden, in denen die Zweisprachigkeit so deutlich gelebt wird. Doch verschiedene Sprachen trennen ja auch Menschen, die selten gemeinsam Gottesdienst feiern.

Ich finde, wir könnten die Chance der Zweisprachigkeit manchmal mehr nützen. Das fängt schon damit an, dass Jugendliche die Möglichkeit hätten, die deutsche Sprache auch hier in der Gemeinde mehr zu üben. Doch darüber hinaus finde ich, dass wir es unseren Vorfahren schuldig sind, die Deutschsprachigkeit fortzuführen. Die Bibeln und Gebetbücher, die wir von den Vorfahren geerbt haben, sind alle in deutscher Sprache. Wir dürfen sie nicht auf Regale stellen und sagen: Das habe ich geerbt und damit ist es vorbei. Ich denke oft darüber nach, was man machen könnte, dass die deutschen Gemeindeveranstaltungen mehr besucht werden, und was man tun könnte, dass mehr Jugendliche sich dem deutschen Gemeindeleben anschließen. Denn es bringt etwas für die Sprachkenntnisse, aber besonders auch für die Seele.

Die Verantwortung den Vorfahren gegenüber ist, denke ich, eine bedeutungsschwere Motivation.

Unsere Vorfahren kamen im 16. und 17. Jahrhundert in der Hoffnung nach Ungarn, dass sie ihren Glauben frei ausleben können. Ihnen ging es ähnlich, wie den Juden, die nach Ägypten oder nach Babylon gerieten, nur sie waren keine Gefangenen, keine Sklaven, wurden nur Knechte. Wie die Juden ihren Glaube und ihre Sprache bewahrt haben und sie als Stamm bzw. Stämme überleben konnten, so haben unsere Vorväter und

-mütter ihre Sprache, ihre Tradition weitergegeben. Das war der "Zaun" um die Ortsgemeinde, die ihre "Wurzeln", ihre Zusammenhörigkeit geschützt hat. Ansonsten wäre auch unsere Kirche heute nicht da.

Auch wenn der Weinstock lebensgefährlich beschädigt wurde, ist die Pflicht der Zurückgebliebenen das Erbe zu bewahren. Wenn wir uns im Friedhof umsehen, ist das eindeutig.

Die fünfziger Jahre sind nicht spurlos verschwunden. "Was Hänschen nicht lernt, lernt Hans nimmermehr." Das gilt auch für meine fehlende Muttersprache. Deswegen müssen wir unseren Kindern und Enkelkindern die deutsche Sprache beibringen. Heute, wo die Grenze offen steht, ist das für jeden vorteilhaft.

Der Glaube muss ebenso gepflegt werden wie die Sprache. In der deutschen Gemeinde haben wir die Gelegenheit beides auf einmal zu pflegen und auszuüben. Ich bin überzeugt, dass die Kinder in erster Linie von den Eltern erzogen werden müssen. Dennoch müssten in dieser Hinsicht die Schulen, Gymnasien viel, viel mehr tun.

Nebenbei bemerkt: Ich hatte mit elf und zwölf Jahren deswegen so gut russisch gelernt – trotz Hass auf Russen –, weil ich eine liebe und sehr gute Russischlehrerin hatte. Im Gymnasium habe ich keinen einzigen Satz gelernt, da die Marusja uns nur Lenin und seine Hütte lehrte. Meine Tochter hat auch deswegen – trotz ausgeprägten mathematisch-technischen Interesses – Sprachen gelernt, weil die Professoren so gute Lehrkräfte waren.

Das gilt auch für die Pfarrer. Wenn man die Leute anspricht, warum sie nicht in die Kirche kommen, antworten viele gleich: Wozu auch? Der eine trinkt, der andere stiehlt, der dritte hat eine Geliebte. Und da reicht es nicht aus, dass auch sie Menschen sind, und die ersten Zwölf auch keine Heiligen waren. Man darf nur so viel über Wasser sprechen und predigen, wie viel man auch trinkt.

Aber es ist schön, dass man auch auf Ausnahmen zeigen kann.

Ich denke, die Person des Pfarrers ist dann besonders prägend, wenn man mit dem Glauben noch in den Kinderschuhen steckt. Dann erwartet man vieles vom Pfarrer, nämlich, dass er Vorbild ist und schult. Doch nach einer Zeit, wenn man tiefer im Glauben ist, merkt man, dass es mehr als um den Pfarrer doch um das Wort geht, das uns mit Gott verbindet, dass man nicht auf den Pfarrer deuten kann, sondern selbst vor Gott steht.

Eine letzte Frage: Wir haben einen neuen ungarischen Gemeindepfarrer. Wir beziehen mit dem renovierten Gemeindehaus neue Räumlichkeiten. Es ist vieles neu geworden. Welche Erneuerung wünschst du der Gemeinde?

Frieden.

Holger Manke