Kirche: So – oder so?

Was für eine Gemeinde wollen wir? – Anregungen zum Diskurs

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Vielleicht schmunzeln Sie, wenn Sie diese beiden Karikaturen sehen. Vielleicht kommen Sie ins Nachdenken. Vielleicht denken Sie auch darüber nach, wer wer sein könnte. Vielleicht überlegen Sie sich aber auch, wo Ihr Platz auf einem der beiden Bilder sein könnte.

Viele haben diese beiden Karikaturen bereits an der Kirche entdeckt – oder im September in einem der Nachrichtenbriefe. Und diese beiden Bilder sind natürlich Übertreibungen, wie das bei Karikaturen so üblich ist. Aber sie deuten – wie das ebenfalls bei Karikaturen eine Tradition ist – mit ihren überzeichnenden Stilmitteln auch auf echte Fragen hin. "Kirche: So – oder so?" - das ist eine Frage, die sich uns stellt, auch uns als Kirchengemeinde in Sopron.

Es liegt in der Natur der Sache, dass Pfarrerwechsel und Vakanzzeiten zu neuem Nachdenken führen. Das ist landauf-landab der Fall – nach langer Zeit des konstanten Gemeindelebens und gewisser Verlässlichkeiten und Gewohnheiten kommen Fragen auf. Vieles wird auf den Prüfstein gelegt. Man kommt ins Nachdenken, was man weiterführen möchte. Es kommen vermehrt Neuerungs- und Veränderungsideen auf. Und oft stellen sich auch die ehrenamtlichen Mitarbeiter neu auf. Bedauerlicherweise gibt es manchen, der den Abschied eines Pfarrers nutzt, um sich auch selbst aus dem aktiven Gemeindeleben zurückzuziehen. Doch oft kommen Gemeindeglieder mit neuer Energie und Kreativität verstärkt ins Gemeindeleben zurück. Und im besten Falle erlebt eine Gemeinde eine Vakanzzeit nicht als Zeit, in der sie in eine Art Koma fällt und die Zeit abwartet, bis wieder ein vollständiges Pfarrerteam die gemeindliche Rundumversorgung fortführt und bis alles wieder in den liebgewonnen Bahnen verläuft. Idealerweise ist die Vakanzzeit eine Zeit, in der nochmals in besonderer Weise klar wird, wie bedeutsam die Rolle der ehrenamtlichen Mitarbeiter ist. Und in all den Veränderungen und in all der Aktivierung von Gemeindegliedern stellt sich eine zentrale Frage: Wie wünschen wir uns unsere Gemeinde? Das kann heißen: Wie soll die Gemeinde sein? Wie möchten wir in unserer Gemeinde unsere Gemeinschaft und unseren Glauben leben? Vielleicht ist das eine Art gemeinsamer Vision – ein gemeinsames Ziel, zu dem wir aufbrechen. Und dann freilich kommen die praktischen Fragen: Was müssen wir tun, um dieses Ziel zu erreichen? Die beiden Karikaturen können in diesen Fragen ernstzunehmende Hilfestellungen und Anregungen bieten.

Vom Selbstverständnis der Ehrenamtlichen: Helfen wir dem Pfarrer? Oder bauen wir Gemeinde?

Was machen Ehrenamtliche, wenn sie sich in der Gemeinde engagieren? Oftmals hört man, dass sie sagen: "Wir helfen dem Pfarrer bzw. den Pfarrern." Natürlich, der Pfarrer als geistlicher und spiritueller Leiter der Gemeinde sollte sich in erster Linie um Verkündigung und Seelsorge, um Taufen, Trauungen und Beerdigungen, um Unterricht in Schule und Gemeinde, also um ein geistlich reiches Gemeindeleben kümmern. Und wenn es ehrenamtliche Mitarbeiter gibt, die sich – je nach Talent – um Renovierungen, um das Einholen von Genehmigungen, um die Mitgestaltung des Gottesdienstes oder von Gruppen und Kreisen, um die kulinarische Gestaltung von Gemeindeveranstaltungen kümmern – dies könnte noch um viele Beispiele ergänzt werden –, dann führt dies zu einem reichhaltigen Gemeindeleben, in dem viele mitanpacken. Vor allem, wenn die Mitarbeiter, die sich einbringen, kreativ denken und Aufgaben übernehmen, zahlenmäßig mehr sind als die Mitarbeiter, die eher Ratschläge geben oder Kritik üben, jedoch bei anstehenden praktischen Aufgaben zur Seite treten, um anderen den Vortritt zu gewähren.

Doch aus welcher Motivation bringen sich Gemeindeglieder ein? Ist die Motivation "Wir helfen dem Pfarrer!" nicht doch ein wenig eng? Klingt das nicht wie ein persönlicher Gefallen, das ein Gemeindeglied dem Pfarrer zukommen lässt? - Klar, es ist allemal besser, als müsste der Pfarrer wie auf der links abgebildeten Karikatur die Gemeinde alleine in Gang halten und als säßen die Gemeindeglieder einer Kutschfahrt ähnlich auf dem Wagen der Gemeinde und ließen die verschiedenen Dienstleistungen mit einer gewissen Selbstverständlichkeit an sich geschehen.

Doch ein Vorschlag für das Selbstverständnisses des Ehrenamts sei hier genannt: "Wir bauen Gemeinde!" - und zwar Pfarrer und Gemeindeglieder gleichermaßen. Wir haben ein gemeinsames Bild vor Augen, wie unsere Gemeinde sein soll. Und daran bauen wir gemeinsam und miteinander. Dieses Miteinander drückt auch die rechte Karikatur aus. Der Pfarrer läuft gerade nicht vorne weg. Er ist im besten Sinne im Miteinander der Gemeindeglieder eingereiht. Und der Pfarrer muss weder Antreiber noch Gallionsfigur sein. Es ist ganz egal, wer an welcher Stelle beim Gemeindebau steht – viel wichtiger ist das Miteinander, das gemeinsame Gehen in dieselbe Richtung, weil alle dasselbe Ziel vor Augen haben: Den Bau der Gemeinde – und damit auch den Bau am Reich Gottes, freilich mit unseren bescheidenen Mitteln, aber doch im Geist Gottes und mit Entschlossenheit.

Von der Pfarrerzentriertheit - Was ist, wenn der Pfarrer mal fehlt?

Der Ort des Pfarrers auf der rechten Karikatur könnte manchen Betrachter ins Nachdenken versetzen. Warum steht er nicht vorne? Die Frage lässt sich auch anders formulieren: Wie pfarrerzentriert denken wir und sind wir? Und was fangen wir mit Luthers "Priestertum aller Gläubigen" an? In welchem Maße sehen wir auch Gemeindeglieder mit geistlichen, spirituellen Aufgaben betraut?

Freilich sollen hier nicht die "ureigensten" Aufgaben des Pfarrers an Ehrenamtliche ausgelagert werden. Aber ein Gedanke ist die spirituelle Rolle der Ehrenamtlichen doch wert.

Was zum Beispiel ist, wenn bei den Gruppen und Kreisen unserer Gemeinde einmal der Pfarrer fehlt? Wie sehr neigen wir dazu, dass das Treffen dann eben ausfällt – und eben dann wieder stattfindet, wenn der Pfarrer wieder da ist? Welche triftigen Gründe gibt es gegen die Gründung von Gruppen und Kreisen ohne regelmäßige Anwesenheit und Mitwirkung eines Pfarrers? Wie können die zahlreichen geistlichen und spirituellen Talente vieler Ehrenamtlichen zur Geltung kommen, wie können diese Talente für den Bau der Gemeinde geborgen und eingesetzt werden, wenn die Anwesenheit eines Pfarrers die ehrenamtlichen Talente – wenngleich ungewollt – stets in die zweite Reihe zurückdrängt?

Der Pfarrer macht die Gemeinde – und die Gemeinde macht auch den Pfarrer

Es ist längst schon offensichtlich, dass bei der Entwicklung des wünschenswerten Gemeindebildes auch das Verhältnis zwischen dem Pfarrer bzw. den Pfarrern und der Gemeinde bedacht werden muss.

Keine Frage ist, dass die Persönlichkeit und die Denkweise des Pfarrers maßgeblich das Gesicht der Gemeinde mitprägt. Bestimmte Haltungen des Pfarrers werden sich in der Gestaltung des Gemeindelebens niederschlagen. Und auch das, was man gemeinhin "Chemie" nennt, spielt eine nicht zu unterschätzende Rolle. Wenn die "Chemie" zwischen Pfarrer und Gemeindegliedern stimmt, ist es leichter, das Gemeindeleben gemeinsam zu gestalten, als wenn zunächst Störungen verschiedenster Natur geheilt werden müssen, ehe sich der Blick auf das gemeinsame Bild von Gemeinde richten kann. Bei Gemeinden mit mehreren Pfarrern zählt überdies auch das interne Verhältnis der Pfarrer. Bilden sie ein gutes Team, dann kann manches Problempotenzial in den Anfängen behoben werden. Gelingt dies nicht, gilt die Aufmerksamkeit der Gemeindeglieder allzu leicht den Differenzen zwischen den Pfarrern. Und nicht selten kann es geschehen, dass Gemeindeglieder zugleich dem einen und dem anderen Pfarrer nach dem Mund reden – und die Pfarrer gegeneinander ausspielen, indem sie sich bei einem Pfarrer ausführlich über die Schwächen des anderen Pfarrers auslassen. Fraglich ist, ob dies wirklich ein wünschenswertes Ziel kirchengemeindlicher Energien ist. Beabsichtigte und unbeabsichtigte Verhaltensweisen der Pfarrer bleiben also nicht ohne Wirkung auf das Gemeindeleben.

Doch wie steht es um die Gegenrichtung "Die Gemeinde macht den Pfarrer"? Es gilt nicht, dass der Pfarrer alleine der Chef ist, in dessen Händen die Richtlinienkompetenz liegt. Und nicht der Pfarrer hat die alleinige Verantwortung für die Gemeindeglieder und das Gemeindeleben. Dies wäre ein fahrlässiger Schluss, der eine Einbahnstraße suggeriert, die den Vorfindlichkeiten nicht standhalten. Vielmehr "macht" die Gemeinde den Pfarrer. Die Gemeinde hat Verantwortung für den Pfarrer. Sie hat eine Mitverantwortung dafür, dass der Pfarrer in guter Gesundheit und in einer Freiheit, die der Verantwortung seinem Auftrag gegenüber entspricht, seinem Dienst nachkommen kann. Dieses Ziel kann die Gemeinde nicht als Antreiber des Pfarrers erreichen – so wie dies auf der linken Karikatur die Peitsche signalisiert. Vielmehr ist hier die Sorge der Gemeinde um ihren Pfarrer gefordert, die auch nach der Wahrung der geistlichen und gesundheitlichen Kraft des Pfarrers fragt. Bleibt er im seelischen Gleichgewicht, so ist dies nicht nur für den Pfarrer, sondern auch für die Gemeinde ein Gewinn.

Miteinander trotz Verschiedenheit

Gott hat den Menschen mit aller Unterschiedlichkeit erschaffen. Dies führt oft dazu, dass es zu Meinungsverschiedenheit zwischen Gemeindegliedern kommt. Im besten Fall führt dies zu einem gesunden und gleichberechtigten Diskurs, aus dem alle gestärkt hervorgehen und in dessen Verlauf alle "gewinnen". Im schlechten Fall jedoch führt dies zu Differenzen, die sich mit voranschreitender Zeit als kaum noch lösbar und überbrückbar erweisen. Und oftmals sind in Gemeinden bestimmte Bruchlinien vorgezeichnet: Konflikte, die aus der Vergangenheit herrühren und mal unter den Teppich gekehrt werden, mal zu emotionalen Ausbrüchen führen, die nur Scherben, aber keine Zukunftsperspektiven hinterlassen. Unterschiede sind auch die Anhängerschaft, die einzelnen Pfarrern gilt, sowie die Frage, wer aus der Familiendynastie heraus schon immer zur Ortsgemeinde gehört und sich hieraus den Zugezogenen gegenüber ältere Rechte ableitet. Die Unterschiede sind da – und der Umgang mit ihnen ist die Herausforderung an die Gemeinde. Gerade als Geschwister im Herrn, gerade verbunden im Glauben ist nicht egal, wie wir diesen Fragen begegnen.

Doch gerade die Verschiedenheit – die unterschiedlichen Talente, die unterschiedlichen Sichtweisen, die unterschiedlichen Formen im Glaubensleben – sind der Reichtum der Gemeinde. - Auch das ist nicht immer leicht: Wir können auch fragen, wie integrativ wir unsere Gemeinde leben, wie sehr wir Menschen mit anderer Persönlichkeit und anderem Denken bei uns sehen wollen oder ob hie und da wohl der verborgene Gedanke regiert, dass wir uns selbst genüge sind und den kleinen Kreis der Kerngemeinde nicht unbedingt erweitern wollen. - Doch die genannten Verschiedenheiten sind wie verschiedene Scheinwerfer, die von ganz unterschiedlichen Seiten doch alle auf den Bau der Gemeinde gerichtet sind und innerhalb des Fragens nach dem Gestalten von Gemeinde je und je unterschiedliche Aspekte hervorheben. Wichtig ist freilich, dass man nicht selbst seinen "Scheinwerfer", seine Sicht auf die Dinge, zum einzig maßgeblichen erklärt. Und oftmals gehört zur geschwisterlichen Liebe auch, dass man mitunter auch Ideen anderer umzusetzen hilft. Und hierzu dient eine regelmäßige innere Vergewisserung, dass Gott sich uns allen gleichermaßen zuwendet, uns gleichermaßen liebt – und uns dazu befreit, dass wir keine Gräben pflegen müssen, sondern in Gott aufeinander zugehen dürfen, so wie er – trotz allem – auch auf uns zugeht.

Zur Diskussion

Die hier niedergeschriebenen Gedanken sind kein Gesetzestext. Vielleicht können sich manche Leser mit dem einen oder anderen Gedanken anfreunden. Vielleicht gibt es aber auch Punkte, die heftigen Widerspruch hervorrufen. Sei es so! Schließlich wollen diese Zeilen auch faktisch ein Diskussionspapier sein und nicht nur aus Gründen der schönen Verpackung einen pseudodemokratischen Beinamen tragen. Wie auch immer wir zu einzelnen Gedanken stehen – wichtig ist, dass wir gemeinsam um unserer Gemeinde willen darum ringen, was für unsere Gemeinde ein guter, zukunftsweisender Weg im Sinne Jesu Christi ist.

Es liegt in unserer Hand. Gehen wir es an – nicht in Einheitsmeinung, aber in dieselbe Richtung blickend und das Wohl des Miteinanders fördernd.



Holger Manke